Meisterwerkstatt

Waldkircher Orgelbau

Das Glockenspiel im Freiburger Rathaus

Quelle: Gerhard Dangel: Das Glockenspiel im Freiburger Rathaus. In: Aus Freiburg in die Welt, 100 Jahre Welte Mignon, Freiburg, Augustinermuseum 2005., S. 106-111.

Das „Neue Rathaus“ wurde 1896-1901 durch die Verbindung des Doppelhauses „Zum Rechen“ (erbaut 1539-45) und des Hauses „Zum Phönix“ (erbaut 1578-1581) zum neuen Rathaus der Stadt Freiburg umgebaut. Beide Gebäude dienten bis dahin der Universität, seit 1868 als Poliklinik.

Es bestand sowohl von Seiten der Bürger als auch des Stadtrates der Wunsch das „Neue Rathaus“ wie auch in anderen Städten des Reiches mit einer Turmuhr auszustatten.

Das Städtische Hochbauamt war deswegen an die bekannte Turmuhrenfabrik Benedict Schneider & Söhne in Schonach herangetreten und hatte erste Informationen eingeholt. Das Hochbauamt bzw. Stadtbaumeister Thoma bat in einem Schreiben vom 22. April 1898 an den Stadtrat um weitere Einzelheiten:

„Ferner bitten wir um eine Äußerung darüber, ob für die Uhr nur ein Schlagwerk mit Viertelstunden- und Stundenschlag gewünscht oder dazu etwa noch ein Glockenspiel gewünscht wird. Letzeres würde, da es in unserer Gegend weit und breit das Einzige wäre, jedenfalls keinen schlechten Eindruck machen. Über die Kosten … würden wir dann je noch eine besondere Vorlage machen.“

Am 17.September 1898 berichtet Stadtbaumeister Thoma dem Stadtrat:

„In Erledigung des Auftrags vom 1. Juni d.J. No. 6640 beehren wir uns nunmehr zu berichten, daß die Firma B. Schneider und Söhne in Schonach die Lieferung der Turmuhr für das Rathaus übernehmen will und wegen des damit zu verbindenden Glockenspiels mit der Firma Imhof & Muckle in Vöhrenbach ins Benehmen getreten ist, welche Firma früher in England schon viele solche Einrichtungen geschaffen hat. Für den Fall, man sich jedoch dieser Firma nicht bedienen wolle, hat sich die hiesige Orchestrionfabrik Welte & Söhne bereit erklärt, die Ausführung zu übernehmen, mit bestimmter Zusicherung einer befriedigenden Lösung der Aufgabe.“

Mit Beschluss des Stadtrates vom 21. Sept. 1898 wurde dem Städtischen Hochbauamt der Auftrag zur Beschaffung eines Glockenspieles und einer Turmuhr für das im Umbau befindliche „Neue Rathaus“ erteilt.

Bereits im Oktober 1898 wurde der Auftrag für die Errichtung der Turmuhr an Schneider & Söhne vergeben(2). Die von Schneider für den Bau des Spielwerks vorgeschlagene Vöhrenbacher Firma Imhof & Mukle war allerdings sofort aus dem Kreis der Bewerber für das Glockenspiel ausgeschieden, da der Kostenvoranschlag zu hoch erschien.

Stadtbaumeister Thoma vom Hochbauamt an den Stadtrat am 28. Oktober 1898:

„...beehrt sich, den ... mit der Firma Schneider über die Lieferung einer Uhr abgeschlossenen Vertrag zur Kenntnisnahme und Genehmigung ergebenst vorzulegen. Wegen Lieferung des Glockenspiels dazu haben wir mit der hiesigen Firma Welte & Söhne ... nähere Verhandlungen gepflogen ...

Die Firma Welte übernimmt im Benehmen mit Schneider die Lieferung des zum Glockenspiel nötigen Mechanismus mit zwei Musikwalzen, womit etwa 15 verschiedene Musikstücke... jeweils 1 – 1 1/2 Minuten dauernd... abgespielt werden können.

Für den Mechanismus des Glockenspiels ... werde Welte einen Kostenvoranschlag unterbreiten, keinesfalls höher als der von Imhof & Mukle, Vöhrenbach. Welche Musikstücke auf die zwei Walzen aufgebracht und mit den 18 Glocken gespielt werden konnen, müsse erst noch ausprobiert werden …“

Inzwischen waren bereits 18 Glocken bei der Glockengießerei Firmin Causard(3) in Colmar bestellt und auch geliefert worden. Diese kosteten 1234, 20 Mark, bei einem Gesamtgewicht von ca. 363 Kilo. Causard, ein alteingessenes Familienunternehmen, war in Freiburg bekannt und hatte bereits 1894 die sechs Glocken für das Geläut der Freiburger St. Martin-Kirche geliefert.

Die Zeitschrift für Instrumentenbau(4) berichtet allerdings in ihrer Ausgabe vom 21. 8. 1901, „dass die grösste Glocke ein Gewicht von 350 kg, die kleinste eines von 6 kg besitzen soll.“ Damit scheint ein Gesamtgewicht von nur 350 kg doch sehr unwahrscheinlich.

Nun hatte man zwar Glocken und eine Turmuhr, aber kein funktionierendes Glockenspiel.

In der Folge beauftrage man die Firma Schneider zu weiteren Erhebungen. Warum man nicht ernsthaft mit Welte verhandelte, ist nicht ganz klar. Möglicherweise fürchtete man, das Berthold Welte aus seiner Funktion als Stadtrat finanziellen Gewinn schlagen könnte. Man holte über Schneider & Söhne für den Bau des Glockenspiels bzw. der Steuerungsmechanik dafür Angebote anderer Firmen ein:

Eines wurde in Höhe von 25.000.- Mark von der Münchner Hofuhrenfabrik für eine neues Spielwerk abgegeben, ein weiteres in Höhe von 10.000.– Mark von Causard in Colmar für ein „altes System“, bei dem nur ein „altes Musikstück“ gespielt werden konnte. Beide schienen dem Freiburger Stadtrat „viel zu hoch und nicht annehmbar“.

Beim Lesen der Akten im Stadtarchiv kann man die hitzigen Diskussionen erahnen, die es um das Glockenspiel gegeben haben muss. Offensichtlich waren etliche Stadträte und städtische Beamte sehr unangenehm davon überrascht, dass es mit dem Kauf der Glocken nicht getan war, sondern viel mehr Geld ausgegeben werden musste, damit diese Glocken auch Musik machten.

Nach langen, frustrierenden Verhandlungen mit weiteren Firmen wurde schließlich Welte & Söhne doch noch offiziell um ein Angebot angefragt. Obwohl Welte bisher noch nie die Steuerung für ein Glockenspiel, geschweige denn ein ganzes Glockenspiel gebaut hatte, gab die Firma ein vergleichsweise günstiges Angebot in Höhe von 8.000 Mark ab und erhielt daher endgültig den Auftrag. Berthold Welte, damaliger Chef der Firma und gleichzeitig Stadtrat, war mit den finanziellen und konzeptionellen Problemen beim Umbau des Rathauses und der Errichtung des Glockenspiels ja bestens vertraut. Es ist zu vermuten, dass alle Beteiligten den Ärger mit dem Glockenspiel gründlich satt hatten und froh waren, dass eine Lösung in Sicht war.

Am 10. November wurde in den Akten vermerkt, dass noch einige weitere Glocken notwendig waren. Es hatte sich wohl im Laufe der Diskussion gezeigt, dass mit den voreilig bestellten vorhandenen 18 Glocken kein vernünftiges Glockenspiel zu gestalten war, das heißt der Tonumfang für das musikalisch einigermaßen zufriedenstellende Spielen von Melodien einfach zu gering. So wurden schließlich zusätzliche vier Glocken bei Causard geordert.

Man kann sich vorstellen, wie begeistert der Stadtrat und die Verwaltung auf diese erneuten Ausgaben reagiert hat. Aber um dem begonnenen Unternehmen zu einem erfolgreichen Abschluss zu verhelfen, blieb nichts anderes übrig, als weiterzumachen.

Zwei alte Glocken unbekannter Herkunft, die offensichtlich unbenutzt herumstanden, wurden auch eingebaut. Die beiden alten Glocken, von denen eine um 1800 in Straßburg gegossen wurde, wurden für den Stunden und Viertelstundenschlag benutzt und spielten bei den Melodieglocken nicht mit. Das Glockenspiel umfasste nun insgesamt 24 Glocken(5).

Gelegentlich ist auch von einer Schenkung Weltes an die Stadt die Rede. Dies ist nicht richtig und wohl eher durch den äußerst günstigen und ganz bestimmt nicht kostendeckenden Preis zu erklären.

Die Firma Welte & Söhne stand damals in ihrer höchsten Blüte und war ein international renommiertes Unternehmen. Ein nicht kostendeckender Auftrag im Umfang von 8.000 Mark war sicherlich keine Bagatelle, aber bei einem Jahresumsatz von über

120.000 Mark(6) auch nicht existentiell wichtig. Man gewinnt beim Lesen der Akten den Eindruck, dass die Firma Welte, der es damals finanziell glänzend ging, sich letztendlich trotz des unangenehmen Vorspiels zum Bau des Spielwerkes hat breitschlagen schlagen, um dem „Hin und Her“ ein Ende zu bereiten.

Finanzieller Gewinn war dabei nicht zu erwarten, eher das Gegenteil. Zitat aus einem Bericht Thomas an den Stadtrat vom 23. Dezember 1899:

„Es ist deshalb außerst dankens- und anerkennenswert, daß sich die hiesige Orchestrionfabrik Welte & Söhne bereit erklärt, die Sache zu übernehmen und zwar wie, aus beiliegendem Angebot vom 3ten dieses Monats ersichtlich, bestehend in einem nach modernen, technischen Grundsätzen erbauten Spielwerke mit 22 Glocken um den Gesamtbetrag von ungefähr 8000 Mark. Auf diesem automatischen Spielwerke mit elektrischen Betriebe und pneumatischer Hebung der Hämmer sind auf einer Walze 7 Musikstücke untergebracht, so daß durch einfaches Verschieben der Walze je nach Belieben eines der 7 Musikstücke abgespielt werden kann … Empfehlung dieses Angebots!“

Am 15. Januar 1900 wurde der Vertrag des Städtisches Hochbauamtes mit der Firma Welte & Söhne geschlossen. Dieser umfasste wie oben angegeben „die Lieferung eines Glockenspiels mit 22 Glocken in den Tönen G / A /B / H bis f mit einem Gesamtgewicht von 800 kg in Glockenform … , einem automatischen Spielapparat mit elektrischen Antrieb … , pneumatischer Hebung der Hämmer … , Walze mit 7 Musikstücken, spielbar in außer der Reihenfolge … , elektrischer Betrieb durch Elektromotor … und der Bedingung, dass alles bis zum 1. Oktober 1901 eingebaut sein müsste.“

Am 13. Februar war laut den Akten das Glockenspiel in der Werkstatt vom M.Welte & Söhne fertiggestellt. Welte hatte auch das Reinstimmen der Glocken besorgt, eine äußerst schwierige Arbeit, die nun hier kurioserweise von Orgelbauern ausgeführt wurde. Die von Welte damals hergestellten Orchestrien waren im Grunde modifizierte Orgeln, weshalb auch der Beruf des Orgelbauers die Grundlage für diese Spezialsparte des Musikinstrumentenbaus war. Glockenexperten war sie aber nicht.

Der 1. Kapellmeister des Städtischen Orchesters, Herr Starke, wurde nun beauftragt, die Arbeit zu prüfen und abzunehmen.

Dieser stellte am 9. April 1901 in einem Gutachten fest, dass der Mechanismus gut funktioniere, aber in der Tonqualität der Glocken noch einzelne Nacharbeiten nötig wären.

Am 29. Mai 1901 erfolgte die letzte Prüfung des Glockenspiels in der Werkstatt von Welte & Söhne durch das Hochbauamt und Kapellmeister Starke. Zitat aus den Akten: „Jetzt sei alles gut gelungen und man könne dieses Glockenspiel als einen bedeutenden Fortschritt gegenüber den bisher in Deutschland und Holland gehörten bezeichnen“. Nächste Woche werde das Glockenspiel in das Rathaus eingebracht.

Welte & Söhne begann nun mit dem Einbau der Glocken sowie des Spielwerkes. Wenn man sich die Glockenstühle heute anschaut,kann man den gewaltigen Aufwand erahnen, der nötig war, um die Glocken an Ort und Stelle zu bringen.

Verwendet wurden beim Spielwerk die von Welte im Orchestrionbau benutzen und entwickelten Techniken. So wird das Spielwerk von hölzernen Stiftwalzen gesteuert, wie sie seit den 1860er Jahren von Welte in ihren Instrumenten eingesetzt wurden. Auf jeder Walze sind sieben Musikstücke gespeichert, so dass bei fünf gelieferten Walzen 35 Musikstücke zur Verfügung standen. Im Gegensatz zu den Glockenspielen herkömmlicher Bauart werden die Glocken nicht mechanisch, sondern durch ein pneumatisches, also durch Saugluft gesteuertes System von Bälgen und Ventilen betätigt.

Die Stimmung der Glocken umfasst einen Bereich von 2 1/2 Oktaven, beginnend mit dem C und reicht bis zum f’’. Die 22 Glocken für die Melodie sind mit zwei Anschlaghämmern ausgestattet, wodurch schnellere Tonfolgen spielbar sind. Zur Luftversorgung der Steuerungspneumatik wurde ursprünglich ein Elektromotor mit Akkumulatorenbatterie eingesetzt, der drei große Schöpfbälge antrieb. Der Akkumulator wurde nach Eröffnung des städtischen Elektrizitätswerkes durch einen Stromanschluss für den Motor ersetzt. Die originale Pneumatik ist nur noch teilweise erhalten und wird heute durch eine moderne Turbine angetrieben.

Die Verbindung von den Bälgen zu den Hämmern an den Glocken erfolgte durch mehrere Meter lange Drähte. Wurden diese von der Pneumatik der Steuerung angezogen, schlugen die Hämmer auf die Glocken.

Im Gegensatz zu den meisten anderen Glocken spielen besitzt das Freiburger keinen Spieltisch, kann also nicht von Hand gespielt werden.

Die ersten Versuche, das Glockenspiel zum laufen zu bringen dürften nicht besonders erfolgreich gewesen sein. Ein erster, nicht geheim zu haltender Versuch am 7. Juli 1901 wurde mit einem äußerst spöttischen Bericht des Freiburger Boten bedacht. Dies ist bei der Vorgeschichte des Glockenspiels auch nicht verwunderlich. Man kann sich vorstellen, wie die Bürgerschaft über dieses offensichtlich miserabel geplante „Unternehmen Glockenspiel“ dachte.

Letztendlich war es aber Welte doch gelungen, trotz des verpfuschten Konzeptes ein einigermaßen zufriedenstellendes Glockenspiel herzustellen. Am 14. Oktober 1901 wurde das „Neue Rathaus“ mit einem Festakt der Verwaltung und der Bevölkerung übergeben. Man könnte nun annehmen, dass damit erstmal Ruhe eingekehrt war. Dem war aber nicht so. Der völlig offene und einfach gedeckte Dachstuhl des „Neuen Rathauses“ war in keiner Weise gegen Klimaschwankungen abgeschirmt und gegen eindringenden Staub schon gar nicht. Dies vertrug sich nicht besonders gut mit einer doch relativ empfindlichen Steuerungstechnik, deren Elemente vorwiegend aus Holz und Leder, und nur die Getriebeteile und der Motor aus Metall bestanden. So waren Störungen im Betrieb des Glockenspiels häufige Erscheinungen. Man gewinnt beim Lesen der Akten den Eindruck, dass bei Welte ständig jemand auf Abruf bereitstand, um auf Anruf aus dem Rathaus das Glockenspiel wieder in Ordnung zu bringen.

So ging es bis zum Ersten Weltkrieg, in dem das Glockenspiel nicht gespielt wurde.

Versuche nach dem Krieg, das Glockenspiel wieder in Betrieb zu nehmen, scheiterten nach Jahren der Vernachlässigung. Geld für Reparaturen war auch keines vorhanden. Erst 1923 wurde Welte erneut mit der Reparatur beauftragt. Das Glockenspiel spielte recht und schlecht, wie dies gelegentliche Leserbriefe in den Lokalzeitungen belegen,die die scheinbar mangelhafte Musikalität der Wiedergabe kritisieren. Weitere größere Reparaturen erfolgten 1926 und 1931.

1933 waren durch die Klimaeinflüsse auf dem Dachboden die Stiftwalzen aus Holz so beschädigt, dass ein Betrieb des Glockenspiels nicht mehr möglich war. Bei Welte waren zur Reparatur dieser Walzen keine Fachleute mehr vorhanden. Es ist überhaupt verwunderlich, dass ausgerechnet die Firma Welte als Pionier der Musiksteuerung durch gelochte Papierstreifen und seit den 1880er Jahren technologisch führend in diesem Bereich hier noch die altertümlichen Holzwalzen einsetzte. Bei den eigenen Orchestrien hatte man seit ca. 1890 ausschliesslich Papierrollen eingesetzt und alte Instrumente auf die neue Steuerung umgestellt. Ein langwieriger Schriftwechsel zwischen dem Rathaus und Karl Bockisch, der seit 1932 die Firma M. Welte & Söhne GmbH alleine führte, setzte ein. Eindeutig entnervt ließ dieser auf eigene Kosten von seinen Fachleuten einen Spielapparat für Papierrollen zusätzlich einbauen. Dieser neue, zusätzliche Spielapparat entspricht im Wesentlichen denen für das Reproduktionsklavier Welte-Mignon. Auch die 109 Stiftwalzen wurden wieder instand gesetzt. Zusätzliche, nationalsozialistische Melodien wie das „Horst-Wessel-Lied“ wurden in die Papierrollen gestanzt, auch in den folgenden Jahren gab es immer wieder neue Rollen, zuletzt 1940 „Wir fahren nach Engelland“ (Liste der Musikstücke siehe unten). Den Akten nach zu schließen, scheint in den folgenden Jahren ein ziemlich störungsfreier Betrieb möglich gewesen zu sein. Im Zweiten Weltkrieg, in dem das Glockenspiel wieder schwieg, wurde das Rathaus und damit auch das Glockenspiel erheblich beschädigt. Nachdem das Gebäude wieder einigermaßen instandgesetzt war, wurde die Firma Welte am 9. Juli 1946 erneut beauftragt, das Glockenspiel instand zu setzen. Am 14. Oktober erfolgte die Aktennotiz:

„Die Instandsetzungsarbeiten vom Glockenspiel müssen wegen Schwierigkeiten bei der Materialbeschaffung (Leder für Bälge, Öl, etc.) vorerst zurückgestellt werden.“

Die Fabrikgebäude waren ja bekanntlich 1944 komplett zerstört worden, so dass Welte keinerlei Materialien aus Vorkriegszeiten in Reserve hatte. Karl Bockisch ermöglichte es dennoch, dass es Weihnachten 1946 wieder spielfähig war, aber anscheinend mangels Erlaubnis der französischen Besatzungsbehörden nicht gespielt werden durfte. In der Sylvesternacht 1946 bzw. in den ersten Minuten des Jahres 1947 erklang das Glockenspiel erstmals nach den Kriegsjahren wieder und spielte seine Choräle über den Trümmern der Stadt. Dies bewegte die Freiburger Bürger sehr, die sich dazu in großer Zahl auf dem Rathausplatz eingefunden hatten, zum Teil zu Tränen gerührt. Aber bereits im Januar 1947 wurde Karl Bockisch mitgeteilt, dass die Pneumatik nicht in Ordnung sei. Dieser erwidert dem Oberbürgermeister, dass der Elektromotor für den Rollenantrieb defekt sei. Er müsse auch erst einen neuen Mann anlernen.

Außerdem sei es derzeit zu kalt, um dort zu arbeiten. Im Mai 1947 jedenfalls war das Glockenspiel wieder repariert, aber nicht zur Zufriedenheit des damaligen Hausmeisters Holzer, der für die Bedienung des Glockenspiels zuständig war. Erneute Reparaturen wurden vorgenommen, die im September abgeschlossen waren. Die „Orgelakte“ weist in den folgenden Jahren, ja Jahrzehnten ständig Reparatur- vermerke bzw. Rechnungen und die entsprechende Korrespondenz auf. 1952 war Karl Bockisch gestorben.

Seit 1954 übernahm der Freiburger Orgelbauer Willi Dold die anfallenden Reparaturen, nach dessen Tod die Hugstetter Firma Späth. Diese übernahm auch zukünftig die regelmäßige Wartung. Soweit aus den Akten ersichtlich war es das erste Mal, dass man dem Spielwerk eine regelmäßige Wartung gönnte. Danach halten sich auch erstmals die Reparaturen in Grenzen.

In den 1970er Jahre wurde der Waldkircher Orchstrion- und Orgelbauer Carl Frey zu den Instandsetzungsarbeiten herangezogen, der als einer der wenigen Orgelbauer noch das Bestiften der Walzen verstand und diese reparierte. 1977 wollte der Baden-Badener Sammler Jan Brauers das Glockenspiel für seine Privatsammlung bzw. sein Privatmuseum erwerben – allerdings blieb sein Vorhaben erfolglos. 1980 liess die Narrenzunft der Fasnetsrufer eine Rolle mit dem „Flecklehäs-Lied“ und dem „Helegele- Marsch“ für das Glockenspiel anfertigen.

Seit einiger Zeit ist der Speicher des Rathauses isoliert, das Spielwerk deutlich besser als jemals zuvor gegen klimatische Einflüsse und Staub geschützt. Betrachtet man das Instrument heute, ist es ein höchst erstaunliches Flickwerk von Reparaturen verschiedenster Qualität aus über 100 Jahren. Mehrfach technisch verändert, manchmal durchaus sachgemäß und nachvollziehbar, manchmal aber auch ganz offensichtlich ohne jegliches Feingefühl für eine historische Maschine, die das Glockenspiel ja ist. Die Reparaturen aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg sind noch deutlich erkennbar durch die Verwendung von eigentlich völlig ungeeigneten Materialien. Manche Reparaturen sind nur Notbehelfe, die aber Bestand haben. Beispielsweise wurden die mehrere Meter langen Glockenzüge zum Anschlagen der Hämmer an die Glocken – die vermutlich ursprünglich dünne Bronze- oder Alumini- umstangen waren – durch unschöne, rot-isolierte Stromleitungen für den Schutzleiter aus dem Bestand des Elektromeisters der 1950er Jahre ersetzt. Geführt werden diese durch die passenden Kabelschellen aus dem selben Bestand. Immerhin, es funktioniert seit Jahrzehnten. Die Spieleinrichtungen für das Glockenspiel. Unten die bestiftete Holzwalze, oben der Rollen- spielapparat.

Die ursprüngliche Technik lässt sich noch sehr gut ablesen und wäre zum großen Teil wiederherstellbar. Sie würde heute, bei der jetzt deutlich verbesserten Unterbringung und sachgemäßer, regelmäßiger Wartung auch problemlos funktionieren. Dies beweisen zahlreiche Welte-Instrumente in aller Welt. Zu Danken ist allen Hausmeistern des Rathauses seit 1901. Diese setzten und setzen das Glockenspiel durch gute und schlechte Zeiten hindurch täglich in Gang und trugen mit ihrer liebevollen Fürsorge dazu bei, dass dieses wunderbare historische Instrument und technische Denkmal erhalten blieb und nicht wie in etlichen anderen Städten als altmodischer und lästiger Schrott, der nur Arbeit macht, entsorgt wurde.

Dem Gutachten eines Sachverständigen, der in den 1980er Jahren die Verschrottung des Glockenspiels empfahl, wurde glücklicherweise nicht gefolgt. Zu wünschen ist dem Instrument und auch den Hausmeistern, dass die nun seit über 100 Jahren tätige Mechanik durch eine Midi-Steuerung ersetzt wird. Diese kann die Glocken spielen, ohne das komplizierte und alte Räderwerk dieser historischen Maschinerie täglich mehrfach in Gang zu setzen. Ohne diesen weiteren Verschleiß könnte es auf lange Zeit hin funktionsfähig bleiben und quasi in den verdienten musealen Ruhestand versetzt werden. Die eher seltenen Besucher des Rathausspeichers könnten dann staunend das rasselnde, schnarrende und schnaufende, gelegentlich auch etwas asthmatische Zusammenspiel der altertümlichen Zahnräder, Bälge und Zugdrähte, Musikrollen und Musikwalzen erleben.

Verzeichnis der Musikstücke auf Tonträgern für das Glockenspiel:

Holzwalzen:

Walze I

Lobet den Herren Üb immer Treu und Redlichkeit
Ännchen von Tharau Guter Mond
Zu Straßburg auf der Schanz
Kommt a Vogele gefloge
Am Brunnen vor dem Tore

Walze II:

Heil dir im Siegerkranz
Brüder reicht die Hand zum Bunde
Wir hatten gebauet ein stattliches Haus
Morgen muss ich fort
Steh ich in finstrer Mitternacht
Jetzt gang i ans Peters Brünnele
Verlassen bin i

Walze III (Nur fortlaufend zu spielen):

Deutschlandlied
Die Macht der Liebe
Ehret Gottes
Still ruht der See
Im Wald steht

Walze IV:

Gaudeamus igitur
So leb denn wohl
Die Wacht am Rhein
Morgenrot, leuchtest mir zum frühen Tod?
Sah ein Knab ein Röslein stehn
Lorelei (Ich weiss nicht was soll es bedeuten)
Ich hatt’ einen Kameraden

Walze V:

Christus ist erstanden
Preiset, Lippen, das Geheimnis
Deinem Heil
Der Mai ist gekommen
Draussen ist
Seht nie
Ach wie ist’s möglich dann

Walze VI:

Kinderlein kommet
Stille Nacht, Heilige Nacht
Oh du fröhliche
Grosser Gott wir loben dich
Nun danket so viel Stern
Es ist bestimmt in Gottes Rat

Walze VII:

„Zauberglöckchen“ aus Mozarts Zauberflöte

Musikrollen:

Wenn alle Brünnlein fliessen
In Mueters Stuebeli
Freut euch des Lebens
Wem Gott will rechte Gunst erweisen
Wir winden dir den Jungfernkranz
Hans und Vrene (J. P. Hebel)
Z’Mülle an der Post (J. P. Hebel)
Auf dem Berg so hoch da droben (Bodenseelied)
Stimmt an mit hellem hohen Klang
Deutschlandlied

Verbotene Lieder

Es gibt die Liste der „verbotenen Lieder“, die sowohl tatsächlich gesetzlich verbotene Lieder enthält und Lieder, deren Abspielen man nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr für opportun hielt und die deshalb auf diese Liste gesetzt wurden. Wer diese Liste erstellt hat und wann sie erstellt wurde ist nicht bekannt. Da sie das Deutschlandlied enthält, muss sie kurz nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden sein, möglicherweise in dem Zusammenhang, als man von der Besatzungsmacht eine Genehmigung für die „Wiederinbetriebnahme“ des Glockenspiels erreichen wollte.

Gesetzlich verbotene Lieder:

Die Fahne hoch (Horst-Wessel-Lied, 1933 hergestellte Rolle) Vorwärts, Vorwärts, schmettern die Fanfaren (Kampflied der Hitler-Jugend) Volk ans Gewehr (Kampflied der SA) Brüder in Zechen und Gruben (Kampflied der NSDAP) Wir fahren gegen Engelland (Kampflied der U-Boot- Fahrer, 1938)

Wohl wegen „nationalistischen Inhalts“ auf die Liste gesetzte Lieder:

Argonner Wald, Argonner Wald, ein stiller Friedhof bist du bald.

Ein eigentlich trauriges Lied aus dem 1.Weltkrieg, wurde es danach quasi zum Volkslied. Es bezieht sich auf die dort 1914,1915 und 1918 für alle beteiligten Streitkräfte unglaublich verlustreichen Kämpfe im Stellungskrieg im Argonnerwald, einem großen Waldgebiet zwischen Maas und Champagne. Als sehr bekanntes Lied fand es Eingang in alle Soldatenliederbücher des Dritten Reiches, was vor allem den folgenden Zeilen zu verdanken ist: „Granaten schlagen bei uns ein, Der Franzmann will in uns‘re Stellung ‚rein - Und droht der Feind uns noch so mehr, Wir Deutschen fürchten ihn nicht mehr.“ Heutzutage kaum mehr bekannt,wurde es im Dritten Reich sehr häufig als Marsch gespielt.

Lieder des frühen 19. Jahrhunderts mit nationalistischen oder entsprechend anmutendem Inhalt:

Das Lied vom Rhein (Es klingt ein heller Klang), von Max von Schenkendorf, 1783-1817 Was ist des Deutschen Vaterland, von Ernst Moritz Arndt (1769-1860) Der Gott, der Eisen wachsen ließ, von Ernst Moritz Arndt (1769-1860)

Lieder der Musikstücke für die Freiburger Narrenzunft der Fasnetsrufer:

Diese Rollen wurden 1980 im Auftrag der Narrenzunft von Musikzeichner Otto Wernet aus Waldkirch angefertigt. Flecklehäs-Lied Helegele-Marsch

Anmerkungen

1 Quellen: Stadtarchiv Freiburg i. Br. Akten Bausachen Rathaus, Az. C3-56, Faszikel 1-4,VII/32/7; C 3 32414, Faszikel I , Der Umbau der alten Universität für Rathauszwecke 1892-1897 und Faszikel II 1898-1906. Akten Finanzen und Steuern/Glockenspiel 1946-1969, 923-2540-16.

2 Diese noch bestehende Firma hat im Jahre 2002 das Uhrwerk instandgesetzt und modernisiert.

3 Charles Causard (1804-1873) errichtete um 1833 seine bedeutende Glockengießerei in Tellin, damals noch zum Großherzogtum Luxemburg, nach 1839 zum Königreich Belgien gehörend. Eine von ihm 1865 in Diekirch in Luxemburg gegründete Filiale leitete sein jüngster Sohn Adrien Causard (18411900) bis zu deren Auflösung nach 1872. Heute ist die Firma in Tellin ein Museum: Musée de la cloche et de la carillon. Fonderie de cloches Causard-Slegers. Der zweite Sohn, Firmin Causard (1839 -1897) hatte in Colmar eine eigene Glockengießerei, die später von seinen Söhnen weitergeführt wurde.

4 Zeitschrift für Instrumentenbau XI, 1901, ohne Seitenangaben, da mir der Artikel nicht im Original vorliegt. Zitat nach Jürgen Hocker: Ein Glockenspiel der Firma Welte im Turm des alten Rathauses in Freiburg. In: Das Mechanische Musikinstrument. Journal der Gesellschaft für selbstspielende Musikinstrumente e.V., 9. Jg. 1984, Nr. 33, S. 41-44.

5 Die häufig genannte Zahl von 25 Glocken ist nicht richtig. Es gibt immer wieder abweichende Angaben. So sagen verschiedene Quellen, dass nur drei Glocken bei Causard nachbestellt wurden.Tatsächlich waren es aber vier.Vermutlich hat sich Friedrich Kempf, der Verfasser der „Festschrift zur Eröffnung des Rathhaus- Neubaues der Stadt Freiburg im Breisgau am 14. Oktober 1901“ als erster in der Zahl der Glocken geirrt. Er schreibt von 25 Glocken.

6 M.Welte & Söhne hatte im Jahr 1888 einen Jahresumsatz 120.000 Mark.Noch noch nicht abgeschlossenen Forschungen des Verfassers zufolge die Firma zwischen 1899 und 1901 bereits einen Umsatz von über 200.000 Mark.